Tagung 2022

Meditieren oder digitalisieren? Konträre oder komplementäre Trends in der Psychotherapie

Am Freitag, den 1. April 2022 fand die erste Tagung des vfkv e.V. für Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen in den Räumen der Akademie und Gesundheitszentrum Frauenchiemsee statt.

Über 50 Teilnehmer, drei renommierte Dozenten sowie drei Aussteller aus dem Bereich Digital Mental Health machten die Tagung zu einem vollen Erfolg mit vielen interessanten Gesprächen und kollegialem Austausch. Es war ein toller und spannender Tag auf der Insel.

Vielen Dank an alle, die dabei waren!

Programm: Vorträge und Workshops

Prof. Dr. Andreas Mühlberger, Universität Regensburg

Vortrag: „Virtuelle Realität und Apps als Werkzeuge zur Therapie bei Angst- und stressbezogenen Störungen“

Mini-Workshop: „Virtuelle Realität“

Neben Internet und Künstlicher Intellligenz (KI) wird Virtuelle Realität (VR) ein sehr mächtiges Werkzeug sein, das unsere Gesellschaft maßgeblich prägen wird. Auch im Bereich Psychotherapie werden VR und Apps immer häufiger als Hilfsmittel beforscht und eingesetzt. Ausgehend von der Behandlung von Spezifischen Phobien gibt es inzwischen zahlreiche Befunde, die einen Nutzen und eine Wirksamkeit bei verschiedenen Angststörungen, Stressbezogenen Störungen sowie weiteren Störungen bestätigen. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Forschungslage über verschiedene Störungen und Einsatzmöglichkeiten hinweg und zeigt Anwendungsbeispiele, z.B. für die Expositionstherapie bei Phobien oder für Verhaltensübungen bei Sozialen Angststörung, auf. In der Diskussion können die Chancen und Möglichkeiten ebenso wie die Einschränkungen und Gefahren der Anwendung abgewogen werden. Im Workshop besteht die Möglichkeit, selbst eine VR-Anwendung zu erproben.

Prof. Dr. Ulrich Stangier, Goethe-Universität Frankfurt

Vortrag: „Mettabasierte Therapie bei Patienten mit chronischer Depression – eine randomisiert-kontrollierte Studie“

Mini-Workshop: „Von der Metta-Meditation zu Wohlwollenfokussierter Psychotherapie – ein prozessbasierter Therapieansatz“

Hintergrund: Aktuelle Behandlungen für chronische Depression konzentrieren sich vor allem auf interpersonelle Probleme und negative Affekte, weniger aber auf die Förderung von prosozialer Motivation und positiven Affekten. Ausgehend von Erfahrungen in Pilotstudien entwickelten wir eine Kombination von Metta-Meditation (Loving kindness) in der Gruppe und maßgeschneiderter individueller kognitiver Verhaltenstherapie, die sich auf Wohlwollen gegenüber sich selbst und anderen konzentriert (Wohlwollenfokussierte KVT). In einer randomisiert-kontrollierten Studie überprüften wir die Machbarkeit und Wirksamkeit bei Patienten mit chronischer Depression.

Methode: Achtundvierzig Patienten mit persistierender depressiver Störung nach DSM-5 nahmen an Wohlwollenfokussierter KVT oder einer Kontrollgruppe mit Warteliste teil. Veränderungen in der depressiven Symptomatik und sekundären Effektmassen wurden nach der Gruppenmeditation, nach der anschließenden Einzelbehandlung und in einem 6-Monats-Follow-up erfasst. Primäres Erfolgsmaß war ein unabhängiges und blindes Rating der depressiven Symptome nach Behandlung. Darüber hinaus wurden die Selbsteinschätzung von depressiven Symptomen, Verhaltensaktivierung, Grübeln, sozialem Funktionsniveau, Achtsamkeit und Mitgefühl erfasst. In einem strukturierten Interview wurde von einem unabhängigen und blinden Diagnostiker die Emotionsregulation eingeschätzt.

Ergebnisse: Es zeigten sich signifikante Veränderungen in Fremd- und Selbsteinschätzung von Depression, Verhaltensaktivierung, Grübeln, sozialem Funktionieren, Achtsamkeit und Emotionsregulation. Die meisten Veränderungen traten während der Gruppenmeditation auf und waren mit großen Effektgrößen verbunden. Die Verbesserungen blieben bis zum 6-Monats-Follow-up aufrechterhalten. Die Ergebnisse ergeben erste Hinweise für die Wirksamkeit von ohlwollenfokussierter KVT in der Behandlung chronischer Depression.

Prof. Dr. Dr. Michael Zaudig, Ärztlicher Leiter Psychotherapeutisches Gesundheitszentrum und MVZ am Goetheplatz

Vortrag: „Natur & Psyche“

Mini-Workshop: Weitere Informationen folgen.

Jeder weiß, dass das Ökosystem Erde krank ist. Jeder weiß, dass Natur, eine gesunde Natur, ihm guttut. Aber keiner kann genau sagen, warum das so ist!

Wie und warum fühlen wir uns in der Natur gut? Inwiefern beeinflusst sie unsere geistige/seelische Gesundheit? Wie kann sie psychologisches Leid lindern?

Obwohl seit hunderten von Jahren positive Natureffekte auf die Psyche bekannt sind, beschäftigen sich erst seit mehr als 40 Jahren zunehmend mehr Wissenschaftler mit der Beziehung zwischen Psyche und Natur – oder ihrem Fehlen –, sodass die Wirksamkeitsbelege immer deutlicher werden und leider sehr verzögert bei Gesetzgeber*innen, Mediziner*innen und Psychotherapeut*innen Beachtung finden. Die Anzahl an Studien und damit die Erkenntnisse zu diesem Thema steigen exponentiell. Alle wissenschaftlichen Daten zeigen mehr oder weniger ausgeprägt häufig starke Effekte auf Stress, Aufmerksamkeit, Kreativität, verbessertes psychosoziales Verhalten, Reduktion von Depressivität und Angst, vermindertes Schmerzempfinden, Verbesserung von Schlaf, Selbstwert usw. Die Forschungsbefunde zeigen übereinstimmend, dass eine Wiederverbindung mit der Natur nicht nur Symptome verringern, sondern darüber hinaus die allgemeine Gesundheit, Selbstwertgefühl, soziale Beziehungen und persönliches Glück erhöhen kann.

Wie lässt sich gesunde Natur auch in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen nutzen? Lassen sich diese Erkenntnisse in psychiatrisches, psychosomatisches und psychotherapeutisches Arbeiten integrieren? Die Einbeziehung der Natur in der Therapie von somatischen und psychischen Krankheiten geht zurück bis in die Antike, war wesentlicher Bestandteil der mittelalterlichen Klostermedizin und der modernen Kurmedizin.

Nach einer Skizzierung der Grundlagen der Entstehung und therapeutischen Wirkung des Naturlebens werden Möglichkeiten der Integration dieser Erkenntnisse in den psychotherapeutischen Alltag diskutiert.


Podiumsdiskussion

Leitung: Dr. Helmut Köhler, Vorstandsmitglied vfkv e.V.

Aussteller: Digitale Gesundheitsanwendungen

MINDABLE Health – Die App auf Rezept für Panikstörung und Agoraphobie

Das Team von MINDABLE Health wird wichtige Informationen zum Thema digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) vermitteln, erklären, wie Sie als Therapeut:in bzw. Arzt/Ärztin Apps als Medizinprodukte verschreiben können und Mini-Workshops zur Verwendung und Integration der App in den ambulanten bzw. stationären Therapieprozess anbieten. MINDABLE Health ist ein Medizinprodukt der Klasse 1 MDD und wird als zugelassene digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) von den Krankenkassen erstattet. Die App basiert auf Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie mit Fokus auf Konfrontationsverfahren. Erste Forschungsergebnisse zeigen eine signifikante Verbesserung der klinischen Symptomatik, Lebensqualität, den Einschränkungen im Alltag, sowie in der Selbstwirksamkeit der Nutzer:innen.

deprexis® – Das Online-Therapieprogramm

„deprexis“ ist ein Online-Therapieprogramm zur Unterstützung der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen. Es ist an die Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie angelehnt. „deprexis“ umfasst zehn Themenmodule und wird individuell für den Nutzer angepasst. Der oder die Nutzer:in wird in Form eines virtuellen Dialoges durch das Programm geführt. Das Programm lässt sich komplett selbstständig verwenden, ohne Begleitung durch einen Therapeuten oder eine Therapeutin. In einer systematischen Übersichtsarbeit über mehrere Studien wurde die Wirksamkeit des Online-Therapieprogramms „deprexis“ überprüft.

mentalis – Digitale Nachsorge bei psychischen Erkrankungen

mentalis versorgt Menschen mit psychischen Erkrankungen nach erfolgter Behandlung im Krankenhaus mit einer nahtlosen, digitalen Nachsorge. Algorithmus-basierte Apps und Tele-Coachings stabilisieren die in der Klinik erarbeiteten Therapieerfolge und überführen Patient:innen bei Bedarf zielgerichtet in weiterführende Behandlungen der Regelversorgung. Die mentalis Nachsorgeprogramme bieten ein Höchstmaß an Qualität für Ihre Patient:innen. Als Medizinproduktehersteller mit universitären Wurzeln stehen die Wissenschaftlichkeit sowie die kontinuierliche Verbesserung der Versorgungskonzepte bei mentalis stets im Vordergrund.

Dozenten

Prof. Dr. Andreas Mühlberger

Andreas Mühlberger ist Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und seit 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Regeburg. Sein Psychologiestudium (Diplom) absolvierte er in Würzburg. Er promovierte in Tübingen und habilitierte in Würzburg. Seit mehr als 20 Jahren nutzt Andreas Mühlberger Virtuelle Realität für die Therapie von Angststörungen sowie für Studien zu psychischen und physiologischen Aspekten von Angst und emotionalem Lernen.

Prof. Dr. Ulrich Stangier

Ulrich Stangier ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Leiter des Zentrums für Psychotherapie und des Ausbildungsprogramms für Psychologische Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt. Seine Forschungsgebiete sind Kognitive Therapie von Depression, Angststörungen und Körperdysmorpher Störung, kulturell adaptierte Verhaltenstherapie bei traumatisierten Geflüchteten und therapeutische Kompetenzen. Er ist neben der wissenschaftlichen Tätigkeit als Psychologischer Psychotherapeut, ausgebildet in Verhaltenstherapie und personenzentrierter Psychotherapie, sowie als Supervisor praktisch tätig und Autor einer Reihe von Therapiemanualen. Aktueller Schwerpunkt seiner Forschung sind die Integration von Dritter Welle und Kognitiver Therapie, die Veränderung von kognitiven und emotionalen Verarbeitungsprozessen bei Patienten, Erklärungsmodelle und Werteorientierungen, sowie motivationale Prozesse und Modellbildung in der Therapieplanung.

Prof. Dr. Dr. Michael Zaudig

Michael Zaudig studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Humanmedizin. Seine psychiatrische und verhaltenstherapeutische Weiterbildung erfolgte am Max-Planck-Institut in München, Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren, am Verein für klinische Verhaltenstherapie (VFKV), an der Columbia University of New York sowie am Harvard University Mc Lean Hospital. Von 1979 bis 1991 machte er seine Ausbildung am Max-Plank-Institut für Psychiatrie (1985 – 1991 Oberursel) und von 1992 bis 2016 war er ärztlicher Direktor der psychosomatischen Klinik in Windach und ärztlicher Direktor der Tagklinik Westend in München von 2007 (Gründung) bis 2017. Im selben Jahr ließ sich Michael Zaudig in privater Praxis nieder und begründete das Coaching Institut „Medical Antistress Concepts“ – MASC mit Schwerpunkten Outdoor-Coaching und Persönlichkeitscoaching. Seit 2017 liegt sein Arbeitsschwerpunkt neben der Praxis auf der psychotherapeutischen Akutbehandlung mit begleitender Forschung an dem von ihm 2019 gegründeten psychotherapeutischen Gesundheitszentrum. Im Jahr 2020 eröffnete er die Privatpraxis am Goetheplatz.

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